Spandauer Volksblatt

Kultur, Dienstag, 11. Juni 1991

"Jetzt oder nie", eine bemerkenswerte Uraufführung im Hansa-Theater

Der Abschied der alten Dame

Das schwätzelt sich so, zunächst, von Szene zu Szene, die Bühne ist so beschaffen, wie Lustspiel-Bühnen beschaffen zu sein pflegen, die Figuren nicht minder. Die heiteren Dinge gehen ihren gewohnten Gang, und unsereins räkelt sich leicht gelangweilt im Sessel.

Dann aber ist da auf einmal ein Ton auf dieser Bühne und eine Handlung, und der nun nicht sonderlich aufs Moabiter Lustspiel versessene Kritiker bemerkt mit einem Anflug von Irritation: Es interessiert ihn, was die da oben treiben.

Jens Johler holt alle seine Figuren aus dem Arsenal des deutschen Lustspiels: Die ältere Dame mit dem Kurschatten und der späten Lust aufs Leben, den leicht senilen Gatten, der vom Geschäft nicht lassen will, die lockeren spruchgewaltigen Kinder, die in Turnschuhen nicht weniger auf bürgerlichen Pfaden wandeln als die altmodischen Alten. Und den Lustspiel-Plot natürlich: Die 68jährige Mutter will das Haus verlassen mit dem neuen Geliebten und morgen ist goldene Hochzeit.

Johler kann ein paar lustige Sprüche, und vor allem bewirkt er die erwähnte Irritation: Denn die Mutter meint das durchaus im Ernste, und wird es tun. Und der Sohn, der Juniorchef (den der alte Steuermann nicht ans Ruder läßt) erwägt - ebenfalls im Ernste - wie des Alten Infarkt letal zu befördern sei. Und am Ende kommt Johler mit einem Taschenspielertrick wieder ins Lustspiel-Finish, das muß so sein, das ist das Genre.

So gelingt die Merkwürdigkeit eines deutschen Lustspiels mit all dem Klamauk aus der Klamottenkiste und einer Art von, nun ja: Sinn. Natürlich fielen mir alle Sätze ein, die in ungebrochener Geltung stehen für die Qualität des deutschen Lustspiels; indessen muß man das Genre wohl redlich an sich selbst messen. Und am Publikum, das ein Recht hat sich zu unterhalten, ohne von hochnäsiger Kritik diskriminiert zu werden.

Joachim Kerzel hat das flott inszeniert in der bunten Pseudo-Wirklichkeit dieser Bühne, mit all den Gesten, die man kennt im Lustspiel. Kerzels Leistung ist die Balance von unterhaltendem Lustspiel und beherrschten Sentiment; und er holte sich Schauspieler, mit denen das geht.

Helga Göring gibt die alte Dame. Die Frau war so etwas wie die ostdeutsche Antwort auf Inge Meisel; eine in der DDR vom Publikum hoch geschätzte Schauspielerin, ein Star durch ungezählte Rollen im Fernsehen. Sie kann sozusagen Lustspiel seriös, mit einer Art von Noblesse, mit einem Gewicht an Persönlichkeit, an künstlerischer Ausstrahlung, an glaubwürdigem Sentiment; sie behauptet ihre schauspielerische Integrität und Qualität noch im ulkigsten Getümmel.

Helga Göring im Lustspiel, das ist so etwas wie die unbefleckte Empfängnis.

Auch Christoph Engel kommt aus der soliden Schule der DDR-Schauspielerei. Er gibt dem alten Mann am Rande der Senilität mit Delikatesse und Geschmack; in der ausgewogenen Balance von lustiger Unterhaltung und dem Darstellen einer Figur; auch im Lustspiel noch bemüht, einen konkreten Vorgang zu spielen.

Die Drahtseilnummer zwischen der bunten Papp-Ästhetik und einer sentimentalen Philosophie war nur zu bewirken mit solchen Schauspielern, die derlei mit ihrer Persönlichkeit abzufangen vermögen.

Friedrich Schoenfelder läßt ein wenig den Eindruck aufkommen, Curd Jürgens sei in der Provinz auferstanden; die Jungen in derlei Texten - Yvonne Brüning und Klaus Rumpf - sind fast immer angeschmiert, ihnen bleibt die redliche Charge.

Man hört gelengentlich Klagen, das derzeitige Deutschland würde von den Alles-besser-Könnern des Westens dominiert. Das Haus in Moabit ist auf dem besten Wege, zum Theater des Ostens zu werden.

Henryk Goldberg

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