Marburger Forum

Mein Buch des Monats September 2001

Marburger Forum - Beiträge zur geistigen Situation der Gegenwart  Jg. 2 (2001), Heft 5

Von Uwe Kühneweg

Eigentlich lese ich gar nicht so gern Kriminalromane, bin alles andere als ein Fan oder Enthusiast der Gattung und hege grundsätzlich gegenüber Büchern, die schon vor Erscheinen als künftige Bestseller lanciert werden, ein gesundes Mißtrauen, das mich im Zweifelsfalle eher von der Lektüre abhält. Dieses Buch aber habe ich verschlungen.

Der wissenschaftliche Fortschritt hat ohne Frage ein atemberaubendes Tempo angenommen, und schon lange ist da niemand mehr, der wirklich noch die Übersicht behalten könnte. Manches ragt heraus, beschäftigt die Öffentlichkeit besonders (zur Zeit vor allem die Gentechnik), aber das ist nur die Spitze eines Eisberges. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« kommt mit ihrer wöchentlichen 5- oder 6-seitigen Beilage »Natur und Wissenschaft« nicht mehr aus und richtet nun zusätzlich eine tägliche Rubrik im Feuilleton ein, die aktuell über neueste Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung unterrichtet. Da ist also auf der einen Seite die unüberschaubare Ausdifferenzierung und Überspezialisierung der Forschung – auf der anderen Seite aber immer noch und immer wieder der Traum von der Welt-Formel, nicht nur bei Stephen Hawking, und die alte Frage nach der Einheit der Wissenschaft. All das nimmt das Autorenduo Johler & Burow, das schon mit »Einsteins Erben« einen beachtlichen Bucherfolg erzielt hat, auf in dem Wissenschafts-Thriller »Gottes Gehirn«.

Eine Serie rätselhafter Todesfälle von bedeutenden Wissenschaftlern ist der Ausgangspunkt des Romans. Der deutsche Wissenschaftsjournalist Richard Troller wird durch das plötzliche Verschwinden seines Freundes Kranich, eines angesehenen Zukunftsforschers, auf die Sache aufmerksam und nimmt Witterung auf. Zusammen mit seiner Kollegin, der Kriminalreporterin Jane Anderson reist er in die Vereinigten Staaten, um Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen zu befragen, die eines gemeinsam haben: ebenso wie die bisherigen Opfer der Mordserie hatten sie vor einigen Jahren an einer Zukunftskonferenz teilgenommen, von der die Öffentlichkeit seltsam wenig erfahren hat. Im Verlauf ihrer Nachforschungen geraten die beiden Journalisten immer tiefer hinein in die Labyrinthe moderner Wissenschaft. Ihre Gespräche mit den führenden Vertretern aktuellster wissenschaftlicher Unterdisziplinen (wie Neurophysiologie, Gentechnik, Forschung zu künstlicher Intelligenz usw.) vermitteln »ganz nebenbei« dem Leser eine Menge aktueller Informationen, ähnlich wie es »Sofies Welt« für den Bereich der Philosophie versucht hat. Das klingt nun allerdings viel langweiliger als es sich liest. So wichtig es den Autoren ist, daß sie sich nicht einfach in Science-Fiction ergehen (»...Theorien und Tatsachen basieren auf gründlicher Recherche.« heißt es im Nachwort auf S. 317. Das Nachwort enthält eine ganze Literaturliste mit populärwissenschaftlichen Büchern und Zeitschriftenartikeln, die letzteren sogar sortiert nach Themenbereichen.), so gewinnt das Buch doch seine Spannungsqualitäten aus der Verknüpfung von Theorien und Ergebnissen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, die von den Autoren nur ein klein wenig mit einigen Prisen spekulativer Phantasie zu Ende gedacht werden.

Künstliche Intelligenz, Kopfverpflanzung und Gehirntransplantation, Gentechnik und Robotik, aber auch Physiologie und Musiktheorie – das sind nur einige Landstriche in dieser spannenden Wissenschafts-Odyssee, die den Leser tatsächlich in ihren Bann schlagen kann. Im Nachwort bekennen die beiden Autoren: »Es war für uns immer wieder überraschend festzustellen, wie nahe Science und Science-Fiction inzwischen beieinander liegen.« Sogar die Nähe von Wissenschaft und Esoterik spielt im Buch eine gewisse Rolle: so kommen auch pythagoräische Zahlenmystik, das wohltemperierte Klavier und die Kabbala zu ihrem Recht.

Jens Johler hat im Luchterhand Literaturverlag mehrere Romane veröffentlicht, arbeitet aber auch als Co-Autor mit anderen zusammen. Olaf-Axel Burow ist Professor für Pädagogik an der Gesamthochschule Kassel. Ihre zweite Gemeinschaftsarbeit, deren professionelle Dramaturgie vermutlich ebenso wie die durchaus anziehende lakonische Schreibweise eher auf das Konto des professionellen Schriftstellers Johler geht, ist gewiß kein literarisches Meisterwerk (und hat auch nicht diesen Anspruch), aber doch ein sehr gut gemachter, packender Kriminalroman (mit einem überraschenden finalen Showdown). »Gottes Gehirn« lehrt seine Leser über weite Strecken das Fürchten – und vermutlich ist das auch die angemessenste Haltung gegenüber vielen Ergebnissen und Zielen moderner Wissenschaft. Daneben finden sich aber auch Elemente utopischer Hoffnung – und natürlich – die obligate Liebesgeschichte, aber all das ist Garnierung, nicht das Hauptgericht.

»Gottes Gehirn« ist kein Buch für Literaturpreise, wohl aber eine sehr empfehlenswerte Lektüre für lange Herbstabende, spannend, mitreißend geschrieben, gut zu lesen. Das Marketing des Europa-Verlages ist auf der Höhe der Zeit, bietet unter www.gottesgehirn.de sogar einen Download des gesamten Textes im pdf-Format an. Das Buch schreit übrigens geradezu nach einer Verfilmung, und die könnte mich dann wiederum ins Kino locken.

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Leseprobe

Gottes Gehirn

Leseprobe (Kapitel 1 "Eklund")

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