Die Welt

Copyright: Die Welt 21.08.2001

Wenn die Roboter die Erde beherrschen

Der Thriller "Gottes Gehirn" facht die Debatte über die Zukunft der künstlichen Intelligenz neu an

Von Ulli Kulke

Die ethische Debatte über Menschenzüchtung und Nutzung von embryonalem Leben hat eine kleine Sommerpause eingelegt. Und so haben wir ein paar Augenblicke Zeit, über folgenden Satz nachzudenken: "Wer einen intelligenten Roboter für ein minderwertiges Wesen hält, ist ein Rassist." Das sagt Lennart Lansky. Lansky ist nicht irgendwer, aber zu ihm kommen wir gleich noch.

Im Winter, wenn der Nationale Ethikrat tagt, wird sie wieder hochkochen, die ethische Debatte, die im Frühjahr über uns hinweg rauschte. Aber wie lange wird sie die Themen halten können? Wir sprechen mit unseren Kindern über Vorteile und Verwerflichkeiten von Stammzellenforschung oder Präimplantationsdiagnostik, über Auslöschung von Erbkrankheiten und Embryonenproduktion zur Heilung schwerster Leiden. Aber wird der Eingriff in die menschliche Genetik noch im vierten oder fünften Glied als Schöpfungsfrage debattiert werden?

Wer behauptet, der ethische Diskurs in seiner derzeitigen Form sei schon heute ein Auslaufmodell, muss nicht weltfremd sein. In absehbarer Zeit bereits könnte er um eine entscheidende Facette bereichert werden. Und die geht so: Was ist der Mensch? Zehn hoch zehn Neuronen und zehn hoch fünfzehn synaptische Verbindungen hat unser Gehirn. "Wenn die bisherige Entwicklungsgeschwindigkeit der Computer anhält, wird es bereits im Jahr 2030 möglich sein, eine solche Maschine im PC-Format zu konstruieren" - sagt, wiederum, Lansky.

Wir könnten Lansky, er wird gleich vorgestellt, ganz defensiv widersprechen und die letzten Trümpfe herausholen im Kampf um die Einzigartigkeit des Einzelnen: die Seele, das Bewusstsein. Ob wir aber die gewünschte Ehrfurcht mit diesen Begriffen erzielen, ist längst nicht ausgemacht. Ein Gedankenspiel könnte dieselben nämlich profanisieren. Screenen wir - dies dürfte in wenigen Jahrzehnten möglich sein - das Gehirn eines Schimpansen und das eines Menschen und subtrahieren wir anschließend die Ergebnisse voneinander, so haben wir es bis auf die letzte Stelle hinterm Komma ermittelt: das menschliche Bewusstsein.

So ähnlich jedenfalls äußert sich Lanskys Kollege Morris Jackson. Der Mensch, sagt Jackson, ist nichts anderes als ein Upgrade des Schimpansen. Und so können wir uns, rein rechnerisch, schon mal der nächsten Stufe ausmalen: den Upgrade des Menschen - die Herausforderung aller KI-Strategen, den Machern von Künstlicher Intelligenz.

Jackson und Lansky sind Schlüsselfiguren in einem Roman, der dieser Tage auf den Markt kommt: "Gottes Gehirn". Morde in Serie liefern uns die Autoren Jens Johler und Olaf-Axel Burow. Das Buch trägt Züge eines Kriminalromans. Die Dramaturgie allerdings kommt eher still daher, bedient sich des Stilmittels von Dialogen. Doch die haben es in diesem Fall in sich, kommen stärker als die genreüblichen Räuberpistolen. Und das hat einen Grund.

Einige der Figuren nämlich, die in Szene gesetzt werden, sind Menschen aus Fleisch und Blut: Robert White etwa spielt mit, jener Hirnchirurg aus Amerika, der seit Jahr und Tag davon träumt, menschliche Köpfe zu transplantieren. An Affen hat er bereits serienweise bewiesen, dass er es kann. Auch Lennart Lansky erkennen wir: Im wirklichen Leben heißt er Marvin Minsky und ist der Welt führender KI-Forscher. Er arbeitet am Massachussetts Institute of Technology. Dass auch Bill Gates als Jeff Adams mitspielt, macht das Ganze zwar noch einen Zug prominenter, doch der Computer-Tycoon ist eher eine Randfigur.

Unser derzeitiger Ethik-Diskurs ist - jenseits des Gewichtes von Schöpfung und Wesensmäßigkeit - auch deshalb so spannungsträchtig, weil er unerhörte Gedankenspiele über Fortpflanzung und menschliche Existenzfragen zulässt. Und doch ist all dies lediglich ein kleiner Vorgeschmack auf jene Phantastereien, die unsere Zukunft an der Seite des wirklich intelligenten Mitbürgers Computer zulässt.

Johlers und Burows Buch ist ein Etappenbericht auf dem Weg von Fiction zu Science. Wer Spaß daran hat, auf diesem Weg die Labyrinthe und Sackgassen aller denkbaren Planspiele zu durchlaufen, kommt auf seine Kosten. Die Wissenschaftler, die die Protagonisten von "Gottes Gehirn" in den USA auf der Suche nach dem Mörder besuchen, lassen erschauern in ihrem Pragmatismus, mit dem sie die phantastischsten Szenarien populär darstellen, als handele es sich um die Funktionsweise eines Ottomotors.

Dass Computer und Roboter intelligent ihre eigene Fortpflanzung organisieren können, dafür notwendige Rohstoffe aufspüren und (effizienter als Menschen, wer wollte dies bezweifeln) verwerten - diese Phantasie ist nichts Neues. Sie ist Bestandteil der Nasa-Planung. Dass Maschinen schöpferisch "Gedanken" fassen könnten, wer wollte dies bei der heutigen Entwicklungsgeschwindigkeit als in unserem Jahrhundert unerreichbaren Quantensprung abtun? Warum es kategorisch ausgeschlossen sein soll, dass Neuronen und Synapsen künstlich erzeugt werden könnten, ob Chimären aus Hirn und Computer möglich sind: Diese Frage ist heute unbeantworteter denn je.

Mit einem müssen wir Menschen, die wir so stolz sind auf unsere Einzigartigkeit und Individualität, uns abfinden: Sollte jener Quantensprung gelingen, so hätte die Computerspezies gegenüber Homo sapiens sapiens einen entscheidenden Vorteil: Alle Computer der Welt, dies wenigstens ist schon heute unbestritten, sind in Nullkommanichts zu vernetzen. Was irgendein Elektronenhirn gerade gelernt hat, vermag es in Echtzeit allen Artgenossen der Welt zur Verfügung zu stellen. Schöpferische Intelligenz der Computer, so sie denn einst geschaffen ist, würde sich sofort selbst potenzieren.

Oder sollte dies auch mit menschlich-biologischen Schaltkreisen möglich sein? Diese Frage bildet einen Erzählstrang des Buches. Ein neues Mittelchen, "Neuro-Connecting-Substance" (NCS), steht schon dafür bereit - eine der wenigen Stellen, in denen Johler und Burow auf Fiction zurückgreifen.

Ob Mensch, Computer oder Chimäre: Der Gedanke an ein solches vernetztes Weltgehirn jedenfalls ("Gottes Gehirn"?) wäre eine Herausforderung an alle Ethikräte der Zukunft, seien sie beim Kanzleramt angesiedelt oder bei der UNO.

Zurück

Leseprobe

Gottes Gehirn

Leseprobe (Kapitel 1 "Eklund")

Sie benötigen den kostenlosen Adobe Reader (Download)

Bestellen Sie direkt

Ullstein

Amazon

 

Kaufen bei Amazon.de

Information